Glossen

Eine steile Schreibkarriere. Und ein Vogel mit Glatze.

hu-go

So fing also alles an. Zugegeben, nicht gerade pulitzerverdächtig, aber immerhin. Also: davon abgesehen, dass Hugo kein Wellen-, sondern ein Nymphensittich war, ein Vogel nicht in einem Häuschen, sondern einem Käfig wohnt, drei aufeinanderfolgende Sätze mit “Ich” beginnen und ein komischer Zeitenwechsel den Leser irritiert, ist immerhin die Illustration, äh, super (man beachte den hämisch lachenden Ausreißer!) und die Rechtschreibung hat ihre Richtigkeit. Beste Voraussetzungen für meinen heutigen Lektoratsberuf! 🙂

Ach, reden wir lieber über den Protagonisten der Geschichte, der meine Familie übrigens 22 Jahre lang begleitete und damit für einen Nymphensittich steinalt wurde. Sein Weibchen Cora überlebte er um satte 18 Jahre – und in dieser kurzen Ehe hatte die arme Cora leider nichts zu lachen. So musste sie den Haustyrannen etwa häufig am Kopf kraulen, denn darauf fuhr er ab. Wollte sie nicht, gab’s Hiebe.
Deshalb kam sie also mehrmals täglich brav unaufgefordert angetippelt, kraulte Hugo mit dem Schnabel, rupfte ihm aber dann – gar nicht dumm und Rache muss schließlich sein – scheinheilig ein paar Federn aus. Des Gatten Hauptgefieder lichtete sich hinter dem stolzen gelben Schopf mehr und mehr … bis da nur noch nackte Kopfhaut war, auf der nach Jahren erfolgreichen Epilierens nichts mehr wuchs. Tyrannentum scheint also ein prima Rezept für langes Leben, auch wenn man seinen Lebensabend glatzköpfig und allein verbringen muss.

Von gesunder Ernährung hielt Hugo noch weniger als vom Nettsein. Auf dem Frühstückstisch war er als lustiger Witwer ein gern gesehener Gast, nippte hier am kohlrabenschwarzen Kaffee, fraß dort ein Stückchen scharfe Salami, naschte an der Butter und stahl die abgefallenen Brezensalz-Körner. Diese auf den ersten Blick wenig förderliche Diät scheint bei Nymphensittichen irgendwie positiv zu wirken.

“Cholesterinlüge! Cholesterinlüge!”

Könnt ihr mal eben aufpassen, dass keine Kinder mitlesen? Jetzt wird’s pikant! Hugo, der alte Lustgreis, vergnügte sich nämlich gern mal mit … äh … also mit seiner Schaukel. Das war ein Gewetze und Gehechel, starrer Blick, plustrige Brust, kleiner Fleck “danach” auf der Stange: Aber was will man machen, wenn die Frau einem wegstirbt. Also wirklich.

Und nun zu Hugo und den Büchern. Ja, dieser Vogel liebte Literatur, verschlag sie buchstäblich. Ja, er liebte sie so sehr, dass er sich ins Bücherregal mogelte, von sämtlichen Bänden die oberen Umschlagränder anknabberte, einen genüsslichen Klecks als Signatur setzte und dann scheinheilig zu Frauchen zurückflog. Noch heute sieht man haargenau, welche Bücher in den Jahren 1970 bis 1992 das Wohnzimmerregal meiner Eltern bevölkerten – sie haben samt und sonders einen Briefmarkenrand. Oben. Alle.

“Pfff, jetzt haben diese Spielverderber von den Büchern schon den Einband abgemacht!”

Was gibt es sonst noch zu sagen? Dass unser Methusalem easy die Zehenamputation überlebte, die der später dazugekommene Graupapagei Jack an ihm vornahm? Dass er irgendwann nichts mehr sah, aber trotzdem noch wild mit der Schaukel … ihr wisst schon? Dass er sein Leben lang eigentlich nur eine Frau liebte, und zwar meine Mutter?

Haustiere sind eben ein unerschöpflicher Quell der Freude.

 

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