Glossen,  working mum

Glosse: Melkfett.

Neulich bei der Rückenmassage. Ich liege mehr oder weniger entspannt auf dem Bauch, den Kopf ein wenig zur Seite gedreht, um nicht zu ersticken. Der auf Nasenhöhe angebrachte Schlitz in der Massageliege ist ja nett gemeint, doch außer vielleicht für Möwenschnäbel anatomisch fehlkonstruiert: Leider werden beim Hineinstecken des Riechorgans dessen Flügel auf brutale Weise zusammengepresst und die Luft entsprechend knapp. Von tiefer Bauchatmung keine Spur! Dann doch lieber die der Symmetrie unförderliche Seitwärts-Stellung eingenommen, einmal tief geseufzt und auf den Masseur gewartet.

melkfettdoseDer kommt auch, greift zuerst in den obligaten roten Topf mit Creme und dann herzhaft in meinen gepeinigten Schultergürtel. O seliger Schmerz! Als meine Muskeln endlich den Kampf gegen die knetenden Hände aufgeben, schlage ich die bis dahin zusammengekniffenen Augen wieder auf. Mein waidwunder Blick fällt auf die eben schon genannte rote Dose, platziert auf einem Regal in der Ecke der Kabine. Kein halber Meter trennt das Kopfende der Liege von dem Kunststoff-Tiegel, dem Pein und Wonne gleichermaßen entspringen. Ich werde neugierig, mit welcher Wunderwaffe der Mann in meinem Rücken einmal pro Woche Kontakt zu meiner Haut aufnimmt. Man will ja wissen, was man hat.

Mir zugewendet ist die Rückseite der Dose. Weiße Schrift auf rotem Grund verkündet in kapitalen Lettern „EUTRA TETINA, Schweizer Melkfett – DAS ECHTE“. Schweizer Melkfett. Melkfett! Ja ist denn heut´ schon Almabtrieb oder was? Bin ich eine Kuh oder doch Karrierefrau und Mutter im 21. Jahrhundert? Nun gut, ich sehe ein, manchmal sind die „guten alten Hausmittel“ besser als das „neumodische Zeug“ und obendrein billiger. Deshalb lese ich weiter, gespannt, was dem ordinären oder vielmehr veterinären Fett die Berechtigung gibt, für über 30 € pro halbe Stunde auf meinem Rücken verteilt zu werden.

Die Argumente sind schlagend: mit „über 100 Jahren Erfahrung in Euterpflege und -hygiene“ wirbt der Hersteller. Das ist beeindruckend, aber nicht unbedingt der ultimative Spaß- oder Kauffaktor, finde ich. Das Mittel sei obendrein „für Melkmaschinen und Handmelken bestens geeignet“. Eigentlich hat das Stillen seinerzeit ganz gut ohne Melkfett geklappt und eine Maschine musste ich dazu auch nicht bemühen. Weiter im Text: „geruchs- und geschmacksneutral“ sei das Fett, was ich – zumindest vom olfaktorischen Standpunkt aus – bestätigen kann. Genascht habe ich davon noch nicht und werde das auch in den nächsten Jahren nicht nachholen! Es folgen die Fakten. Die „nichtoxidierenden Salbenbestandteile auf Basis hochwertiger Mineralöle“ stechen mir jetzt ins Auge. Sagt man nicht immer, an seine Haut solle man dies und jenes lassen, nur keine Mineralöle? Gehören solche Schmierereien nicht eher ins Getriebe eines Sportwagens oder – nun ja – einer Melkmaschine? Der nächste Punkt versöhnt mich ein bisschen, wenn ich auch den Zusammenhang mit dem letzten Argument nicht nachvollziehen kann. „Ohne künstliche Farb-, Duft- oder Konservierungsstoffe“ und dennoch „unbegrenzt haltbar“ soll sie sein, die wundersame Paste? Ich stutze.

Doch schnell weitergelesen, denn die wohltuende, teure halbe Stunde ist fast vorbei, der Masseur bearbeitet schon meinen „Lendenwirbelbereich“ (wie er es nennt), also die Po-Partie (wie ich dazu sagen würde) mit flinken und mitleidslosen Fingern. Nach allen Kaufargumenten verrät mir der rote Tiegel nämlich endlich noch, wie genau die Anwendung des „Originals mit Melkmaschineneignung“ stattzufinden hat. „EUTRA TETINA Melkfett gleich nach dem Melken auf Zitzen und Euter auftragen und gut einmassieren.“ Obgleich in intimer Gesellschaft von tierisch-weiblichen Körperteilen – hier ist es, das Wort – „Massage“! Es legitimiert das cremig-fettige Geschehen auf meinem Rücken vollständig, ich muss hier also niemanden verklagen wegen vorsätzlicher Körperverletzung! Oder doch?

Der letzte Satz, schon wischt sich mein Peiniger die Hände an einem vorher bereitgelegten Tuch ab: „Zitzenöffnungen mit einem feinen EUTRA TETINA Schutzfilm schließen.“ Oh. Ich sollte wohl doch lieber schnell aufstehen und gehen, bevor er auf die Idee kommt, diese Anweisung zu befolgen.

9 Comments

  • textzicke

    Nee. Aber seinerzeit auf einer Zwillings-Dose im nachbarlichen Kuhstall nachgelesen! 😉

  • Ines

    Die Dosenbeschriftung ist unterhaltsam, das Melkfett nützlich. Gehört seit vielen Jahren zu unserem Badezimmer, weil auch Kinder mit sehr trockener und empfindlicher Haut das Zeug hervorragend vertragen. Was für Zitzen gut ist …

  • gerhard

    super tipp! melkfett eignet sich sehr gut zum sonnenbaden. aber vorsicht, hat natürlich keinen lichtschutzfaktor. wer allerdings nicht so empfindlich ist, wird mit melkfett eine wahnsinnsbräune bekommen. selbst probiert.

  • Steffi

    Ich mach ja beim massieren die Augen zu. Deswegen entgehen mir wohl auch solch belustigende Details – die ich aber auch viel lieber von dir in Worte gefasst lese *gg*

  • Julia Maria

    Raue Füße? Das Zeug ist nicht zu überbieten!Dick einschmieren, Socken drüber, über Nacht einziehen lassen. Hast du am nächsten Tag Samtpfötchen 🙂

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